“Dantons Tod” im Vergleich

Mitnichten endet das Drama von Georg Büchner über Dantons Tod im Bild eines homme mis à nu. Es endet an der Guillotine, mit den Worten eines Bürgers, der sagt: “Im Namen der Republik.” Ohne Ausrufezeichen, bei Büchner. Dieser Bürger sagt es einfach nur. Ein sic kann man sich hier trotzdem denken, das ist, sozusagen, ein “aha”, denn Büchners Figuren sagen wörtlich: “Im Namen der Republik.” Sie sagen nicht: “Vive la République”, auch nicht “Au nom de la République.” Auch das hätten die Zeitgenossen Büchners im frankophilen Süddeutschland des 19. Jahrhunderts verstanden und ebenso die Zuschauer der Saison 13/14 eines süddeutschen Theaters. Die Sprache macht einen erstaunlichen Unterschied, auch dass die Figuren Büchners Bürger heißen und keine citoyens sind oder, wie bei Kleist, mit Namen wie Robert Guiskard und Abälard ausgestattet und damit die gesamte europäisch abendländische Historie abbilden.

Dass eine der Aufführungen von Dantons Tod auf das Schlusspathos des nackten Menschen nicht verzichten konnte, ist schade, wegen Büchner und auch wegen dieser glasklaren Text- und Sprechaufführung, die konsequent auf jede Effekthascherei, auf jeden Klamauk, auf jeden Heroismus verzichtet. Nur am Ende, nach zweieinhalb Stunden, muss es nochmal um’s Ganze gehen. Muss man also ertragen. In den Kammerspielen gehört der homme mis à nu zum guten Ton. Bei der Premiere kramen die Theater-Routiniers auf dem Balkon dann auch schon mal ihre Taschen und Sachen zusammen, als Robbespierre an den obersten Knopf seiner Rockjacke fasst. Alles Weitere ist absehbar, eine hommage an die Kammerspiele und hat mit Büchner nichts mehr zu tun.

Dabei hat diese Aufführung Büchners Drama ernst genommen und ihn gleichzeitig bis ins 21. Jahrhundert, zur Asylpolitik und zur Revolte wie zum Zynismus des Geredes vom humanen Sterben gespannt. Allerdings tat sie dies derart unmerklich, in der Collagierung von Textpassagen, die nicht von Büchner stammen, dass man eben bis zum Schlussakt dankbar war für die gelungene Aktualisierung ohne jedes plakative Hinweisschild. Das historische Bühnendekor wird auch nicht gegen bunte Installationen getauscht. Dass selbst das Programmheft auf die Nachweise der hinzugefügten Textpassagen verzichtet, ist auch schade. Theater darf das. Wäre aber doch ein Leichtes gewesen, dem Publikum eine Fortsetzung des Theaterabends und der Aktualisierung einer Revolutionskritik mit der Lektüre von Camus, Elfriede Jelinek, dem Wortlaut des Asylrechts und Michel Houellebecq noch einfacher zu machen.

Dagegen verzichtet eine andere süddeutsche Inszenierung von Dantons Tod auf keine plakative Aktualisierung und Globalisierung von Anfang an. Keine Rede davon, dass Büchners Drama seinerseits der Dokumentation historischer Texte und Reden verpflichtet war. Die Revolution trägt in dieser alternativen Inszenierung Trainings-Jacke mit Streifen und postmodernen Sportschuh, schaltet Muammar al-Gaddafi und Silvio Berlusconi nahtlos überlebensgroß aneinander gereiht zu. Das Publikum muss mitmachen, Saallicht geht nach einer halben Stunde in einer überlang geplanten Vorstellung wieder an. Es soll mitten im Spiel das Urteil über Danton fällen. Dabei ist dieses längst besiegelt. Dieser Abend sollte anstrengend und aktuell und erschöpfend sein. Büchners Text geht dabei unter in dem Netz der assoziativen Bezüge, der Faden geht verloren in den Überblendungen. Der Vernunftmensch Danton, der am massakertrunkenen Revolutionspathos einiger sektiererischer Gruppierungen zweifelt, ist längst gerichtet. Und wo ist eigentlich der Genußmensch Danton hin, der sich in seiner Liebe zu Ausschweifungen vom Volkskörper entfernt? Trägt der Lebensmensch des 21. Jahrhunderts tatsächlich Anzug mit Krawatte und gut geschnürtem Lederschuh? Wohl kaum. Alles ist Revolution, von 1789 bis heute, sie ist gleichzeitig überall, sichtbar und hörbar. Dabei entwarf der 22jährige Büchner sein Stück in großer Revolutions-Skepsis: “Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein?” (III,9)

Manches bleibt auch vor dem Hintergrund der Kenntnis von Tagesaktualität schwer verständlich. Warum wird diese Inszenierung zwar auf einer leergeräumten Bühne gegeben, aber vor eine maurische Wand gestellt? Mit entnervtem Publikum wird gerechnet. Versteht mal wieder nichts. Gegeben wird ein Polit-Diskurs der 80er Jahre, der gerne auch eine Nuance Elitarismus zur Schau getragen hat. Ob dieses Spektakel textgetreu an der Guillotine endet oder sich auch einen netten shocking gag für den Schluss ausgedacht hat, bleibt der gehörigst entnervten Zuschauerin verborgen. So eine Pause ist immer eine gute Möglichkeit, auch mal länger frische Luft zu schnappen.

Was hat man gelernt, wenn sich in einer Saison mehrere Theaterhäuser für ein und denselben Text entscheiden? Aha, es war Büchner-Jahr. Und: Revolutionen sind keine Ausnahmeereignisse und enden weniger pathetisch als traurig.