Besonders in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit crime fiction ist es notwendig, sich Techniken anzueignen, um von Forschungsarbeiten nicht affiziert zur werden. Sonst sieht man irgendwann überall Verfolger, Verbrechen und Unrecht. So ist aber das Leben nicht. Da es nun zudem nicht überaus schwierig ist, sich auch im außer-akademischen Alltag des 21. Jahrhunderts überwacht zu fühlen, ist ein bereit gelegtes Anti-Paranoia-Heilmittel angeraten. Gleichgültig, wie subjektiv diese Empfindung einer Beobachtung sein mag, sie kann kaum nicht spürbar präsent sein, sei es als Zeitungsmeldung, als Aufzeichnungen eines Prozesses, als Hirngespinst oder Polit-Skandal, dem völlig fremde Personen ausgesetzt sind, die einen selbst nicht berühren.
Auch hier hilft erstaunlicherweise zunächst die Wissenschaft und die Literatur oder der Film weiter. Denn das kann man schon seit einer ganzen Weile wissen und deshalb geduldig an sich vorüberziehen lassen: dass Überwachung daran interessiert ist Körper zu kontrollieren (Michel Foucault: Surveiller et punir. Naissance de la prison, Paris 1975), dass der Voyeurismus derer, die noch erwachsen hinter den Bildschirmen sitzen um zu glotzen, die Restnische vergangener Diktaturen ist (Matador, Spanien 1986, Regie: Pedro Almodóvar, 110 Min.), dass Kontrolle Gesellschaften immanent geworden ist (Gilles Deleuze: “Postscriptum sur les sociétés de contrôle”, in: L’Autre journal, Mai 1990) und dass jedwede irre Obsession sich alsbald in Wohlgefallen auflöst (Roberto Bolaño: 2666, 2004 posthum).
Eine gute Methode gegen Überwachungs- und Verfolgungs-Angst scheint mir persönlich die open source zu sein. Wer immer seine Türen offen lässt, wird darauf gefasst sein, wenn jemand in der Küche sitzt, wenn man nach Hause kommt. Fragt sich dann nur noch, ob es freundliche Gäste waren, die vielleicht schon mal vorgekocht haben, oder irgendetwas zwischen Scherzbold und Saboteur, die da sitzen, während man auf geplünderte Regale blickt. Da wir wissen, dass alle alles wissen und alle zu allem Zugang haben oder sich diesen verschaffen — selbst gegen jede Regel einer Tradition der Höflichkeit oder des Gesetzes —, dann kommt es tatsächlich im Weiteren ausschließlich darauf an, was mit diesem öffentlich von allen geteilten Wissen angestellt wird.
Michel Serres, der in den 80er Jahren über die Rolle des Parasiten als Vermittler geschrieben hatte, hat in einem neuen, etwas pathetischen Buch (Petite poucette, Paris 2012) die digitale Allwissenheit als einen Fortschritt gelobt und die Jugend, die sich diese ganze Mühe des Hackens und Simsens, Bloggens und Profil-Bildens macht, dazu aufgefordert, einfach bitte etwas Vernünftiges damit anzustellen. Zweifellos eine sehr optimistische Sichtweise.