In diesen Wochen jährt sich der Todestag von Manuel Vázquez Montalbán. Er starb vor elf Jahren im Oktober 2003 in Bangkok, einer Stadt, die seiner Hauptfigur Pepe Carvalho seit dessen 6. Fall, Los pájaros de Bangkok von 1983, bekannt war. Der Privatdetektiv Carvalho, mit Wohnsitz in Barcelona, löste das amerikanische Modell des hard-boiled detective ab: Carvalho prügelt sich nicht, hängt wenig in Bars ab, verzichtet auf Whiskey und unterlässt sarkastische Kommentare, denkt nach bevor er losrennt, zur Entspannung kocht er. Er liest Bücher, wie sein Kollege Chen neben der Aufarbeitung chinesischer Verbrechen chinesische Lyrik liest.
Zehn Jahre vor seinem Tod, 1993, war in der Carvalho-Serie Sabotaje olímpico erschienen. Dieser Krimi bildet eine kleine Ausnahme in der Reihe, weil er sich nicht an alle Regeln des Genres hält, und weil er vor allem die Grenze zum Absurden überschreitet. Und doch bezieht er sich kenntlich auf die Tagesaktualität des Autors, die Olympischen Spiele, Barcelona 1992. Da das Schreiben ein langsames Geschäft ist, darf man annehmen, dass Montalbán synchron zu den Spielen und ihren Vorbereitungen geschrieben hatte, um bei Editorial Planeta postludum den Krimi-Nachtrag abzuliefern.
Diese Richtung der Chronologie, von der Alltagswelt zur crime fiction ist sehr viel beruhigender als die verkehrte. Wenn nämlich Krimiautoren Verbrechen und settings erfinden, welche wenig später als Katastrophen in den Bildern der Tagesnachrichten live wiederzuerkennen sind. Stieg Larsson konnte es nicht ahnen. Sicher kalkulierte er, bei seiner Fluchtidee, nicht mit der Verwechselbarkeit von Krimi und Alltag, welche von jüngeren Bestsellerlisten bedient wird. Und doch erinnerten die Bilder von Utøya auf fatale Weise eben auch an jenes Rätsel, das in Män som hatar kvinnor gelöst wird: Auf welchen Wegen und mit welchen Mitteln kommt man, vom Mörder und Monster unentdeckt, von einer Insel runter?
Mit einer unheimlichen Unentscheidbarkeit – fiction oder real life – spielte Montalbán nicht. Sabotaje olímpico ist derart überdreht, von der serbischen Speerwerferin, Partisanin und direkte Verwandte Titos, zu den weißen Kurzstreckenläufern, die sich als “atletas negros” tarnen, dass in dieser schrillen Phantasie die erkennbar historisch-politischen Figuren, Samaranch, Bush I oder “el rey posmoderno” und Sofía kaum auffallen. In den Überblickswerken gehören die Krimis von Montalbán zur Familie der Nationalkrimis. Sie zeigen Spanien im Moment der transición. Diese Zeit der Länderkrimis hat die Gattung heute überwunden, Städtekrimis und Regionalkrimis haben den Nationalkrimi abgelöst. Sei es aus reinem Platzmangel. In einer Art topographischer Zerstreuung werden inzwischen kleinere Winkel, Kanalisationen, Erdlöcher, Wüstenstreifen zum Tatort und Versteck, die ermittelt werden wollen.
Sabotaje olímpico war bereits für diesen Übergang, in dem sich die zunehmende Belanglosigkeit von nationalen Einheiten zeigt, wegweisend. Montalbán selbst war weder national noch regional zuzuordnen. Sein antinacionalismo wendet sich kaum in einen Regional- oder Lokalpatriotismus. Bis heute werden sich die Biographen nicht einig, ob es sich um einen spanischen oder katalanischen Autor handle. Sabotaje olímpico jedenfalls dokumentiert parallel zu den Internationalen Spielen eine Weltverschwörung katalanischer Herkunft in spanischer Sprache, in x Sprachen übersetzt. Und da der Krimi zunächst eine realistische Gattung ist und kein politischer Diskurs, darf man annehmen, dass jener einheimische Olympionike, Montalbán nennt ihn “el catalán universal”, ein Autoporträt und eine Chiffre für die Reichweite ihrer Lesbarkeit ist.